Kraftakt Rückbau    DLZ vom 13.01.2018
Seit mehr als zehn Jahren schon produziert das Kernkraftwerk Brunsbüttel keinen Strom mehr Von Stefan Carl Brunsbüttel - Nicht einmal sieben Jahre hat es gedauert, bis nach der Antragstellung 1970 das produktionsbereite Kernkraftwerk Brunsbüttel ans Netz ging. Seit dem Antrag auf Stilllegung und Rückbau des KKB ist jetzt schon fast genau so viel Zeit vergangen. Bis von dem Atommeiler an der Elbe nichts mehr zu sehen sein wird, werden noch viele weitere Jahre ins Land gehen. Tausende Tonnen Stahl müssen zerschnitten, Tausende Tonnen Beton gebrochen werden. Alles, was radioaktiv belastet ist, muss dekontaminiert werden. Wiederverwertbares Material muss dem Wertstoffkreislauf zugeführt, anderes erst in Zwischen- und später einmal in Endlager verbracht werden. Seit das Merkel-Kabinett 2011 die Energiewende und damit den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen hat, befassen sich die Kraflwerksbetreiber mit den Rückbaufragen. Nach dem Abschalten des KKB 2007 wurden umfangreiche Nachrüstmaßnahmen umgesetzt, als Voraussetzung für die im Jahr 2002 ursprünglich zugesicherte Laufzeit. „Wir produzieren aber seit 2007 keinen Strom mehr", sagt KKB-Betriebsleiter Markus Willicks (Foto). „90 Prozent unserer Besuchergruppen wissen das nicht", fügt Olaf Hiel, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit, hinzu. Zurzeit befindet sich das Kernkraftwerk im sogenannten Nachbetrieb. Die nächste Stufe wäre der Restbetrieb. Damit wird die Phase beschrieben, die es braucht, um den Rückbau zu bewerkstelligen. „Den entsprechenden Antrag auf Stilllegung und Rückbau haben wir 2012 gestellt", sagt Willicks. Mit der Genehmigung rechnet er Mitte kommenden Jahres — sechs Jahre später. Folgen sind aber schon jetzt zu bemerken. Die Zahl der Mitarbeiter ist in den Jahren seit der Abschaltung von 340 auf derzeit 220 gesunken. „Im Nachbetrieb gibt es Dinge, die wir nicht mehr zu machen brauchen", sagt Willicks. Das wirkt sich natürlich auf die Personalsituation aus. Während das Atomkraftwerk seit dem vergangenen Juli brennelementefrei ist - das heißt, es befinden sich keine Brennelemente mehr im Reaktor -, müssen gleichwohl nahezu alle Systeme weiterbetrieben werden. „Das betrifft zum Beispiel die Lüftung. Außerdem haben wir eine kleinere Gasheizung gebaut und damit die aus jetziger Sicht überdimensionierte Ölheizung abgelöst, die wir zum Anfahren des Kernkraftwerks benötigten", fügt er hinzu. Außerdem würden Hunderte Mitarbeiter von anderen Firmen benötigt, um den Rückbau zu bewerkstelligen. Ganz am Anfang des Rückbaus steht nun, da die Brennelemente in Castoren verpackt wurden, aus dem Reaktorgebäude alles auszubauen, zu reinigen, zu bearbeiten und den radioaktiven Abfall von den Wertstoffen zu trennen. Mit dem Ausbau der Brennelemente habe die Anlage schon jetzt 99 Prozent ihrer Radioaktivität verloren. „Irgendwann haben wir dann nur noch ein entkerntes und dekontaminiertes Gebäude ohne jegliche Strahlung, das wir dann ganz konventionell abreißen", so Willicks weiter. Bis dahin ist es nicht nur wegen der behördlichen Erfordernisse ein weiter Weg. Das Kraftwerk wiegt circa 300 000 Tonnen. „Es wird ein radioaktiver Abfall von etwas weniger als drei Prozent bleiben. Das sind dann rund 10 000 Tonnen, die in ein Endlager verbracht werden müssen", verdeutlicht der Betriebsleiter die Dimensionen. Die meisten Stoffe - metallische und vor allem Beton - könnten nach der sogenannten Freigabe dem Wertstoffkreis lauf zugeführt werden. Stoffe wie Asbest oder der teilweise PCB-haltige Dekontaminationsanstrich müssten auf Deponien verbracht werden. Ist ein Stoff freigemessen, gilt er als nicht mehr radioaktiv belastet. „Wir haben eine eigene Messanlage, die super empfindlich ist", sagt Willicks. Nun messen er und seine Leute allerdings nicht einfach mal so alles frei. „Der Prozess von der Abbauanzeige bis zur Freimes sung wird von behördlich beauftragten Gutachtern begleitet." Brennstäbe ins Zwischenlager, den Rest in handhabbare Teile zerlegen, dekontaminieren und dann nach Radioaktivem, Deponierbarem und Wiederverwertbarem zu trennen — das hört sich nicht nach einem Ding der Unmöglichkeit an. Doch sehen sich Willicks und seine Leute vor erhebliche Probleme gestellt, und die haben mit der wenig greifbaren Angst zu tun, die fast immer zu spüren ist, wenn das Wort Radioaktivität fällt. „Zu Strahlung hat kaum jemand einen Bezug, das ist anders, als wenn es zum Beispiel um Temperaturen geht." Die von Olaf Hiel als „konstruktive Wegbegleiter" beschriebenen Gegner des Rückbaus kommen noch hinzu. In Mikrosievert gemessene Strahlenwerte, die nach heutiger wissenschaftlicher Erkenntnis keine Gefahr bedeuten, würden in Brunsbüttel unterschritten. „Die andere Seite sagt aber, dass jedes zusätzliche Mikrosievert ein schlechtes und deshalb zu vermeiden ist. Dagegen lässt sich nur schwer argumentieren", sagt Willicks. Vor 15 Jahren hätten AKW-Gegner die Stilliegung aller Meiler verlangt. „Jetzt, wo wir gezwungen sind, sie stillzulegen, sagen sie: Lasst die Meiler stehen, schließt ab", so Willicks weiter. Er und Olaf Hiel würden sich schwedische Verhältnisse wünschen: Dort gelte der Rückbau als eine Anforderung an die gesamte Gesellschaft, als ein Problem, das gemeinsam zu lösen ist. Abgesehen davon gibt es aus technischer Sicht nur zwei Möglichkeiten, ein Kernkraftwerk zurückzubauen. Den direkten Rückbau, wie Vattenfall ihn verfolgt, und den sicheren Einschluss, dem sich nach Jahren erst der Rückbau anschließt. Gesetzlich ist hierzulande derzeit allerdings nur der direkte Rückbau zulässig. Die Kosten für den Rückbau übernehme das Unternehmen, die für die Zwischen- und Endlagerung der Bund. Die Energieversorger haben dafür laut Hiel im Juli Rückstellungen von insgesamt rund 23 Milliarden Euro an den Bund überwiesen. Der Anteil Vat-tenfalls daran belief sich auf circa l ,7 Milliarden Euro. Demnächst würde zudem die Verantwortung für die erforderlichen Zwischenlager vom Bund übernommen. Bis 2021 sollen in Brunsbüttel mehrere hundert Millionen Euro in den Rückbau investiert werden. Kritiker gehen jedoch davon aus, dass der Bund und damit der Steuerzahler auf Milliardensummen sitzen bleiben werden. Da es noch bis mindestens 2023 dauern wird, bis das Endlager Schacht Konrad aufnahmefähig ist, werden Zwischenlager benötigt. Zwar gibt es schon ein Standortzwischenlager in Brunsbüttel, das jedoch nur für die Lagerung von hoch radioaktiven Abfallen — also abgebrannten Brennelementen — vorgesehen ist. „Deshalb bauen wir für den Rückbau des KKB ein zweites mit ähnlichen Dimensionen, in dem schwach-und mittelradioaktive Abfalle gelagert werden. Im kommenden Frühjahr fangen wir an, 2020 soll es fertiggestellt sein", sagt Willicks. Den Rückbau an sich will er in maximal 15 Jahren geschafft haben. Doch schon der Zwischenlagerneubau bereitet Probleme. Für Fundament und Pfahlgründungen falle ein Erdaushub von rund 30 000 Tonnen an. „Da wird guter Kleiboden dabei sein, den wir theoretisch an Landwirte abgeben könnten. Doch er stammt von einem AKW-Gelände, und da beginnt das psychologische Problem." Auch die Stoffe, die auf eine Deponie verbracht werden dürften, bereiten Willicks Sorgen, „weil die Deponiebetreiber sich scheuen, Abfall aus einem Kernkraftwerk aufzunehmen". Die größte Herausforderung sei deshalb, die größtmögliche Transparenz zu schaffen und mit allen Beteiligten in den Dialog zu treten. Dass ausgerechnet in dem Brunsbütteler Kraftwerk etliche Fässer mit radioaktivem Material verrosteten, macht dies nicht leichter. „Das korrodierte Fass bleibt in Erinnerung. Wenn wir es ändern könnten, hätte es das nie gegeben, das hat uns zurückgeworfen", räumt Willicks ohne jeglichen Versuch der Beschönigung ein. „Seitdem haben wir viel in die Offenlegung investiert und in unsere Kommunikation. Wir haben den Fehler erkannt, und es ist eine Hypothek, ja. Aber auch eine Chance, zu zeigen: So wollen wir es jetzt machen." Nicht nur nach außen, auch nach innen habe „das Fass" negativ gewirkt. „Viele Mitarbeiter sind überaus selbstkritisch. Für hausinterne Broschüren lässt sich längst nicht mehr jeder fürs Titelblatt ablichten", sagt Öffentlichkeitsmann Hiel. Er und Willicks zeigen sich jedoch zuversichtlich, dass sie mit Aufklärung und Information, wie sie es in ihren regelmäßigen Dialogforen bieten, Boden wieder gutmachen können. „Als der Atomausstieg kam, war ich erst wütend, enttäuscht, sauer", sagt Willicks. „Nun ist es aber so, und es ist meine Aufgabe zu zeigen, dass wir ein Kraftwerk bauen, betreiben und jetzt so zurückbauen können, dass es danach wieder aussieht wie vor dem Bau. Das ist meine Motivation." Technische Daten Bruttoleistung: 806 Megawatt Erzeugte Strommenge seit Inbetriebnahme: 142 211 Gigawattstunden. Geplantes Lager für schwach und mittelstark radioaktive Abfälle: 116 mal 48 mal 16 Meter groß, bietet einen Netto-Lagerfläche von 3300 Quadratmetern. Aus der Geschichte des Atomkraftwerks Am 21. November 1969 beschlossen die Aufsichtsräte der HEW und NWK, in Schleswig-Holstein ein Kernkraftwerk zu errichten. Als Standort bot sich das Industriegebiet östlich Brunsbüttels an. Von Anbeginn an verstand sich und galt das Kernkraftwerk als wichtiger Partner des Industriegebiets sowie als Voraussetzung zur Ansiedlung neuer Unternehmen. Den Bauauftrag erhielt die Kraftwerk-Union, die im März 1970 mit dem Bau des Siedewasserreaktors begann. 17. Dezember 1969: Gründung der KKB-GmbH. 2. April 1970:1. Teilgenehmigung zum Standort, der Grundsteinlegung, zur Errichtung der Baustelle und dem Aushub. 29. Mai 1970: Festakt zum ersten Rammstoß. 11. Februar 1970: Das KKB-Informationszentrum wird eröffnet. 1972: Richtfest nach zwei Jahren Bauzeit 22. Juni 1976: Erteilung der 1. Betriebsgenehmigung. Es erfolgt die erste kontrollierte Kernspaltung und Netzsynchronisation. 17. Dezember 1976: Erstmals produziert das Kraftwerk volle Leistung. 9. Februar 1977: Übernahme des Kernkraftwerks durch die Kernkraftwerk-Brunsbüttel-GmbH. Ernst Chudzienski wird erster Kraftwerksleiter. 18. Juni 1978: Der erste Zyklus des Kraftwerks wird durch den Abriss eines Stutzens an der Turbine unterbrochen. Umfangreiche technische Nachrüstungen wurden erforderlich. Es folgt eine Stillstandsphase. 12. Januar 1979: Werner Hartel wird neuer Kraftwerksleiter. 24. Juli 1980: Die Genehmigung zur Wiederinbetriebnahme wird erteilt, doch wegen einiger Einsprüche geht die Anlage schon nach ein paar Tagen wieder vom Netz. 1. August 1980: Das KKB ist wieder am Netz 21. August 1981: Der erste Brennelementewechsel steht an. Nach sechs Wochen wird die Anlage wieder angefahren. Mitte 1982: Die Anlage wird planmäßig für einen längeren Zeitraum abgefahren. In dieser Zeit kommt es zu einem Leiter wechsel: Volker Brodale übernimmt von Werner Hartel. 15. Juni 1982: In der Transport-Bereitstellungshalle dürfen radioaktive Reststoffe eingelagert werden. 11 August 1983: Die KKB-GmbH erhält die unbefristete Dauerbetriebsgenehmigung. September 1983: Erster Transport abgebrannter Brennelemente von Brunsbüttel nach La Hague. August 1985: Das unabhängige Notstandsystem geht in Betrieb. 25. August 1992: Die Anlage wird zum Brennelementewechsel abgefahren. Befunde an Rohrleitungen haben zur Folge, dass umfangreiche Reparaturen vorgenommen werden müssen. 31. Januar 1992: Es werden an mehreren Schweißnähten Haarrissanzeigen festgestellt und der Aufsichtsbehörde gemeldet. Es folgt eine lange Stillstandsphase. Oktober 1993: Es formiert sich eine KKB-Mitarbeiterinitiative, die um den Erhalt der Arbeitsplätze kämpft. 16. Juni 1995: Nach 1025 Stillstandstagen erteilt der damalige Energieminister Schleswig-Holsteins, Klaus Möller, die Genehmigung zum Anfahren der Anlage. 22. Juni 1996: Die Anlage ist 20 Jahre alt und hat bis dahin 68 Millionen Megawattstunden ins Netz eingespeist. In diesem Jahr brütet erstmals seit-30 Jahren wieder ein Wanderfalken-Paar Junge aus - in der Bruthilfe, die KKß-Mitarbei-teram Kraftwerkskamin installierten. 5. Januar 1998: Die zweite Transport-Bereitstellungshalle wird in Betrieb genommen. 11. Februar 1998: Die Anlage ist erstmals 500 Tage ununterbrochen am Netz. Nach 518 Tagen wird sie zur Revision und zum Austausch diverser Leitungen wieder heruntergefahren, bevor sie am 3. Juli 1998 wieder ans Netz geht. 18. Juli 2007: Wegen nicht richtig deklarierter Dübel ist die Anlage wieder vom Netz genommen worden. Seitdem wird in Brunsbüttel kein Strom mehr hergestellt. 6. August 2011:13. Novelle des Atomgesetzes in Kraft. 1. November 2012: Antragstellung auf Stilllegung und Rückbau des KKB. 13. Juni 2017: Das Atomkraftwerk ist brennelementefrei. In Brunsbüttel wird damit seit mehr als zehn Jahren kein Atomstrom mehr produziert.